Die letzte Rettung der Literatur: Selbstverlage und Bettmonster — Die Leipziger Buchmesse
Die Literaturwelt hat einen Knall. Und sie benötigt einen. Einen Urknall. Eine neue Schöpfungsgeschichte. Schreckliches war mir auf der Leipziger Buchmesse widerfahren. Ein Abschied.
Sicherlich steht es mir nicht zu — als unerfolgreicher, bisweilen unveröffentlichter Autor — über eine Branche zu urteilen, der ich nur als Beobachter beiwohnen kann. Die Objektivität, die Naivität mit der ich heute die moderne Literatur erniedrigen will, haftet mir vielleicht an. Wie einem Wunderkind, das zufällig den richtigen Ton trifft in einer sonst unzulänglichen Debatte.
Und: Ich habe einen Katalysator für meine Polemik. Einen, der in den obersten Rängen steht: die Leipziger Buchmesse.
Manga ist Literatur
Zugegeben, das Gedränge am Empfang ist in diesem Jahr nicht ganz unerträglich. Ich kann meinen Rucksack abgeben und zügig die Hallen betreten. Stehen muss ich erst vor Halle 1, eigens reserviert für die Manga-Convention. Traditionell werde ich von Dinosauriern und freibäuchigen Teenie-Hobbits zur Seite gedrängt. Aber sie sind nicht mein Ziel des Hates in dem heutigen Artikel.
Im Gegenteil. Ich wäre wohl höchst entzückt, wenn vor den Hallen der Belletristik ebenso ein Menschenauflauf stehen würde. Menschen, die sich vereinen, um ihre „Buchstars“ zu treffen. Oder ihren Lieblingsprotagonisten durch liebevoll genähte Kostüme huldigen.
Stattdessen laufe ich neben einer Gruppe Rentnern, die ihre Rücksäcke in jugendlichem Leichtsinn nicht abgegeben haben. Ich habe einen schrecklichen Verdacht, was sich darin befinden könnte.
Aber in Halle 2 ist das egal, dort kann ich beinahe frei atmen und meine Arme in der Luft herumwerfen. Pirouetten will ich drehen, so leer erscheint es mir — würde ich nicht spontan an einem Lungendrücken sterben, das sich mir auferlegt hat. Ich muss feststellen, dass die Selbstverlag-Ecke noch viel größer geworden ist.
“Manuskripte herzlich willkommen”, schreit es mir von einem Banner entgegen. Da muss ich mich doch fragen, wie willkommen so ein Manuskript sein kann, wenn es von Logik- und Rechtschreibfehlern nur so strotzt. Förmlich aufgefordert werden doch die Inges und Helmuts dieser Welt ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben und uns Lesern in die Gehörgänge zu pressen.
Nun weiß ich, was die Rentner in ihren Rucksäcken mit sich herumschleppen. Ich betrauere eine Branche, die sich selbst nicht mehr ernst nimmt, weil sie jedem Tür und Tor öffnet, der ein Tagebuch geschrieben hat. Ein einzigartiges Branchenphänomen. Bei diesem Anblick stelle ich mir gar eine Handwerker-Messe vor — mit lauter verkannten Handwerker-Talenten!
Selbstverlag die Zukunft der Buchbranche?
Aber die Verlage scheinen schon längst zum Gegenschlag bereit zu sein. Zufällig bekomme ich ein Gespräch zwischen einer Lektorin und einer Autorin mit. (Ich stalke)
Ein renommierter Kinderbuch-Verlag ruft zu einer „offenen Sprechstunde” für Autoren aus. Natürlich findet sich hier eine Frau mittleren Alters ein, die erklärt, dass sie sich schon immer „totaaaaaal gerne Geschichten ausgedacht hat, und ihre Kinder die auch totaaaal toll fänden.”
Die Lektorin schreibt geduldig mit. Erklärt auch, warum dieses neue Projekt des Verlags einzigartig, gar pompös und eine echte Chance für die Buchbranche sei. Seit Selfpublisher auf dem Vormarsch wären, müsse man reagieren. So haben man eine Plattform erschaffen, auf der sie Talente jetzt gezielter finden (ausbeuten) könne.
Ich kichere hinter dem Stand, von wo aus ich das Gespräch zufällig mitbekomme (zufällig stalke). Dieses Internet scheint auch hier endlich angekommen zu sein.
Promi-Bücher verkaufen sich immer gut
Beim Fischer Verlag erwartet mich das nächste Grauen: Wieder fühlte sich ein vermeintlicher Fernsehstar zum Autor berufen. Dieses Mal handelt es sich um das rothaarige Unter-dem-Bett-Monster, vor dem du als Kind immer Angst hattet: Richterin Barbara Salesch.
Schon in den ersten Zeilen ihres Worstsellers Ich liebe die Anfänge! wird mir klar, dass dieser Frau die Idee ein Buch zu verfassen (verfassen zu lassen), wohl in einem Anfall unsäglichen Narzissmus gekommen sein muss. Ich lese da zum Beispiel von spannenden Dialogen mit Regisseuren, von sensationellem Lampenfieber und so richtig heftigen Drehtagen.
Und natürlich von neuen Anfängen, die einfach irgendwohin führen. Jedenfalls nicht zum Erfolg. Alles voll und zugekleistert mit weichgespülter Sat.1-Sentimentalität. Das treibt mich weit weg, an den nächsten Stand, an dem etwa 100 Menschen in einer Schlange warten.
Sven Hannawald sitzt hier an einem Pult und unterschreibt die erste Seite seines Jahrhundertwerks. Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben. Er schrieb dieses Buch (ließ es schreiben) mit nur 39 Jahren, rückblickend auf seine von Tragödien zerstörte Karriere. Er fühlt sich dabei als sei er Pionier des deutschen Promi-erlebt-Burnout-und-muss-das-jedem-auf-die-Nase-binden-Genres.
Aber die nächste Überraschung wartet schon auf mich: Im ARD Studio ist „Opa erzählt von Hitler“-Sonntag! Thilo Sarrazin darf dort über seine Thesen zum Tugendterror schwadronieren, während seine Pflegerin/Managerin zufrieden ins Publikum schaut. Überall sehe ich alte Menschen, die im beipflichten und klatschen. Die gierige Presse ist außer sich.
Weiter hinten drängt sich mir eine junge Literaturecke auf. Dort lesen aber nur solche Autoren, die ihre Geschichten mit Wortschöpfungen wie „Oberlikes“ und „Tittenprofilfotos“ erzählen. Sie haben gerade erst entdeckt, dass Sex — beschrieben mit dreckigen Worten — skurril und provozierend wirkt.
Mir wird schmerzlich klar: Weder braucht die Literatur einen neuen Skandal-Sexroman noch einen Skispringer, der sich mit Antidepressiva so zugekippt haben muss, dass er wohl in geistiger Umnachtung ein paar Worte einfach aus sich heraus brach. (heraus brechen lassen musste)
Was, wenn sie recht haben?
Abgeschlossen wird dieser Tag mit einer lustigen Heimfahrt in einer überfüllten Straßenbahn — jemand greift mir verstohlen an den Arsch. Da fällt mir urplötzlich ein, auch ich könnte einer von diesen Menschen sein, die unbedingt ein Buch schreiben wollen. Dafür aber eigentlich gar kein Talent haben.
Wer sagt eigentlich, dass ich mehr über Literatur weiß, als all die anderen da draußen? Vielleicht haben sie ja alle Recht mit ihren Rucksäcken und Schubladen-Manuskripten, neuen Anfängen und alten Abstürzen?
Was ist das also für eine Messe, die Autoren nicht etwa durch Qualität zu Höchstleistungen inspiriert, sondern sie letztlich nur herunterzieht?