Sie kommen in Frieden
Es wird wieder lauter, das Schweigen zur Zuwanderungspolitik. Selbst wenn wir noch weit von einer erneuten Verfolgungswelle entfernt sind: in vielen europäischen Ländern hat der Wahnsinn schon längst wieder begonnen.
Los, halten wir unsere die Nase in den Sommerwind. Der starke Espresso, oder un café, so wird er in Italien genannt, verbrennt unsere Zunge, weil wir ihn mit einem Schluck hinunterspülen. Espresso, ein eingedeutschtes Wort, denjenigen zufriedenstellend, der italienischen Gastarbeiter-Flair in seinen Pausen genießen will. Los, hören wir uns um.
Chinesen, Türken, Araber—sie alle sind schon längst keine Zeitreisenden mehr hier, sie sind unsere feste Gegenwart. Manche erscheinen uns mehr Deutsch als mancher Deutsche. Einer beschwert sich, weil der Bus wieder zwei Minuten zu spät ist, aber niemand will mit ihm darüber sprechen. Weitere zwei Minuten später empört sich eine ältere Dame mit grauen Haaren über die nun bereits 4-minütige Verspätung; sofort stimmen alle in ihren Klagegesang ein.
Aber was genau ist das Problem? Woher kommt die steile Ablehnung denen gegenüber, die uns keine Gäste, keine Feinde mehr sein sollten, die uns längst willkommen sind—wie Bruder und Schwester?
In Frankreich beunruhigt der Wahlsieg der Front National, einer rechtsextremen Partei, in Südfrankreich die Offiziellen und die Bevölkerung. Schon lange gibt es in diesem Land eine Bewegung jüdischer Bürger zurück nach Israel. Sie fühlen sich in ihrer französischen Heimat, in der sie teilweise schon Jahrzehnte leben, nicht mehr sicher und sehen sich gezwungen, das Land zu verlassen. In Italien wird in der Nähe von Neapel eine Roma-Siedlung niedergebrannt. Das Risiko des Todes wird in diesem Aktionismus bewusst einkalkuliert, die Minderheit soll endgültig das Land verlassen.
In Ungarn nimmt die Sinti und Roma Ausgrenzung überhand. Der ansteigende, rechtsradikale Ausdruck in der Kunst und in den Medien wird jedoch mit anerkennenden Preisen überhäuft.
Zoltán Balog, ungarischer Minister für Humanressourcen, übergab 2012 den ehrenwürdigen Mihály Táncsics-Preis an eine rechtspopulistische Band und einen antisemitischen Fernsehmoderator, der Sinti und Roma als „Menschenaffen“ betitelte—ein Zeichen für die Zukunft von Europa?
In Deutschland sei man noch lange nicht wieder so weit, behaupten die Unwissenden, aber das Akademikertum hat das Verhaltensmuster in der Gänze längst erkannt: je mehr wir haben, desto weniger wollen wir abgeben. Es ist eine Werteverschiebung, bislang galt nur „wer wenig hat, kann nichts abgeben“. In diese Zeiten ist die Gier unser politischer Motor, das schlichte Prinzipienreiten; niemand will einsehen, dass der Grund und Boden, auf dem wir den Weg zur Arbeit auf uns nehmen, keiner Staatsmacht gehören kann und keinem Volk. Die Welt steht jedem frei.
Es wird schwieriger, die Position der MigrantInnen in Familienkreisen zu rechtfertigen. Es wird gar unmöglich, ihre Rechte im Freundeskreis zu stärken; ihnen einen Ausweg aus den Falschverdächtigungen zu ermöglich. Sie aus dem Scheinwerferlicht zu reißen und einzureihen, in die Mitte der Gesellschaft. Der Fremdenhass ist auch in Deutschland wieder angekommen.
Der NSU-Skandal macht die Brisanz der Thematik deutlich. Die noch lange nicht vergessenen, rechtsradikal-motivierten Demonstrationen gegen ein Asylheim in Marzahn-Hellersdorf in Berlin führen uns vor Augen, was lange im Verborgenen lag: Deutschland hat sich schleichend zu einem fremdenfeindlichen Staat zurückentwickelt.
Alltagsrassistische Äußerungen spielen hierbei eine bedeutendere Rolle als der offen ausgeführte Hitlergruß: Sie tragen das intolerante Gedankengut an den Rand des gesellschaftlich Akzeptierten. Schuldige können sich die Hände reinwaschen, da sie offiziell keiner Nazi-Partei angehören. Daran ändert auch das plötzliche Umschwenken der Medienlandschaft nichts.
Jetzt wollen Spiegel und Tagesschau eingesehen haben, dass die Zuwanderung der nationalen Sozialstruktur zur Hilfe kommt, obwohl sie das lesende Volk bereits jahrzehntelang mit rechtspopulistischen Überschriften „bildeten“. Verachtend schauen sie auf die Schweiz, die uns ach so unähnlich in unserer Zuwanderungspolitik erscheinen. Sie werfen die überfälligen Perlen einem Sauvolk zu, das zu lange daran glauben musste, was die Medien ihnen weismachten. Ein Zurück gibt es nicht mehr.
Und jetzt? Alles zu spät? Noch besteht diese wage Hoffnung, dass der Traum von Europa zur Lebenswirklichkeit wird. Dass die Feindgesänge sich zu einer wohlwollenden Arie erheben und daraus eine Kultur der Andersdenkenden entsteht. Jene, die der Illusion eines sprachlichen Esperanto auf politischer Ebene in Nichts nachsteht.
Noch haben wir die Hoffnung nicht aufgegeben, dass der Einwanderer seine Wanderung beenden kann, wo immer er sich zuhause fühlt. Er wird im neuen Europa in die Arme genommen, nicht mit Stock und Lanze verstoßen. Noch verbrennen wir unsere Zungen am Espresso, schon bald wird es noch viel mehr sein, was auf unseren Speisekarten steht. Bunt wird die Welt sein, leuchtend und hell.
Ja. Uns gibt es noch: jene, die fest an Europa glauben.