Richard David Precht ist ein Sophist …

Poetry-Slam, YOLO und ganz viel Bananarama. Es wird gestaunt über Gedankenreichtum in Form eines Happy-Meals mit Spielzeug. Es ist der Philosophie Mitternacht und Sonnenfinsternis zugleich. Kant und die kopernikanische Wende liegen schon eine ganze Weile zurück. Goethe war geistreich, doch wir Deutschen heute sind ebenso gebeutelt wie der Pudel aus dem Mephisto ins Studierzimmer trat. Doch zum Glück gibt es noch Richard David Precht. Oder?

Ein öffentlicher Brief:

Herr Richard David Precht,

Sie haben gar Philosophie studiert, und, Sie armer Tor, sind dennoch als klug als wie zuvor. Ich möchte nicht bezweifeln, dass Geschick in ihren Fingern liegt. Ihre ganze Hand jedoch ist ein Unwesen, das sich selbst beschreibt, während es semantischen Vollzug begeht. „Wer bin ich? Und wenn ja wie viele?“, das ist der Titel Ihres Rubik-Würfels, der viel zu vielen Kneipenphilosophen den Atem raubte, ernsten Denkern aber bloßen Spott abringt.

Am Strand auf einer Insel Griechenlands, in Gesellschaft und rotem Wein—wie Sie in Ihrem Büchlein schreiben—erörterten Sie die Farben ihres Würfels und rückten keine an seine rechte Stelle. Bin ich richtig in der Ansicht, dass keine einzige Farbenfläche je entstand?

Im 18. Jahrhundert hatte David Hume versucht uns zu erklären, dass des Menschen persönliche Identität nicht in Zement gegossen ist, und eine Argumentation hat er uns zusätzlich vorgelegt. Doch zu fragen, wie viele Personen eine Person ist (sic)—was genau ist damit gemeint? Etwa eine salopp geschulterte Auffassung einer dissoziativen Identitätsstörung oder ein Fall schwerer Demenz?
Der Titel Ihres Buches, der Ausspruch eines Ihrer besoffenen Kollegen war, und nur das hätte bleiben sollen, bagatellisiert eine Problematik, die im Bereich der Psychiatrie und Justiz enorme Wichtigkeit hat. Vom Mangel an ethischem Feingefühl abgesehen, muss zusätzlich noch gesagt werden, dass Sie Rätselhaftigkeit als Stilmittel nutzen, um etwas als Einführung in die Philosophie zu benennen. Das ist nicht sehr philosophisch, Herr Precht.

Ich frage mich daher: Was machen Sie, und überhaupt, wozu? Sie beschäftigen sich mit Kantischen Fragen, denn Fragen an sich ist angeblich niemals dumm. Ich rechne einem Jeden den Versuch hoch an, auf solche Fragen Antworten geben zu wollen, aber die Ihrigen sind philosophisch so anämisch wie traurig, dass sie einem Abort gleichen. Das ist Ritterlichkeit mit stumpfem Schwert, und Ihr Gaul, der Sie von einem Fernsehauftritt zum nächsten galoppiert, ist lediglich ein Spiegel, der aufzeigt, wie ernst und fliegenhaft es dem deutschen Publikum um tiefgehende Fragen geht. Es wurde schon deutlich besser mit einem gewöhnlichen Hammer philosophiert.

Das Problem bei Ihnen ist: Sie zeigen auf das Tor zum Labyrinth, und suggerieren, dass keiner hineinzugehen braucht, um es zum Ziel zu schaffen. Das Tor zu sehen, mit einem von saftig-grünen Blättern gesäumten Rundbogen, mit dem fein gekiesten Weg und der knapp dahinterliegenden ersten Wand, die die erste Entscheidung verlangen würde, reicht aus, um das Labyrinth als Ganzes zu verstehen. Das Prinzip des Labyrinths wurde nun erörtert und verstanden. Vielen Dank, wie lautet das nächste Kapitel? Und vielleicht noch ein Glas Rotwein dazu?

Ihre Strohhalmphilosophie setzte sich an die Spitze der Verkaufslisten und passt so wunderbar zu unserer heutigen Smalltalk-Geselligkeit. Sie haben den Nerv der Zeit getroffen, ich gratuliere!, und nun fand auch Hausfrau Frieda die Philosophie mal so richtig interessant und—was viel wichtiger ist—sogar nützlich. Denn darum geht es eben, nicht wahr? Und der BWL-Student, der sich selbst und seinen Lebenslauf mit Unternehmensethikkursen schmückt, darf dank Ihnen auch seine Freizeit nun angenehm, leicht verständlich und sinnentleerend vergeuden, gar die Philosophie als sein “Interessensgebiet” bezeichnen. Man hat jaden Precht gelesen, der alles einmal wirklich gedachte, und das ist immer auch erlittene, idiotengerecht “neu” und verdummt mit blumigen Worten verpackt hat. Denn schwer und erschütternd, das sollen die Fragen des Lebens bitte auf keinen Fall sein.

“Die Philosophie ist am Ende!”, sagte Heidegger 1966 im SPIEGEL-Interview. Und warnte vor der bevorstehenden Verramschung der europäischen Geistesgeschichte durch eben solche Lucifer (im alten Sinne dieses Wortes) wie Precht. Licht bringt er wohl. Doch führt er die Menschen, wie der Irrlichtbringer Lucifer, auf die falsche Fährte auf ihrem Wege durch die Sümpfe dieses Lebens. Diese falsche Fährte, die ihnen die Sicherheit und Angenehmheit des Bekannten im Neuen vermittelt, zieht dabei unsere Tradition lauwarm durch den Kakao und führt die Leser nur noch weiter ins existentielle Nichts.

Da wir gerade bei Heidegger, Verramschung und dem Nichts sind: Ihr letztes Werklein heißt: “Warum gibt es alles und nicht nichts?” Das haben Sie brav von Heideggers Essay “Was ist Metaphysik?” abgekupfert, in der noch einmal gefragt wurde, woraus sich unsere Geschichte bewegt. Diese schwerste und schrecklichste aller metaphysischen Fragen, die unsere Geistesgeschichte durch die Jahrtausende seit Heraklit und Parmenides getragen und bewegt hat, verramschen Sie zu einer banalen netten Small-Talk-Lektüre, sodass am Ende dieser Geschichte jeder mal ein bisschen über das Nichts “nachdenken” darf. Doch bitte nicht zu schwer. Selbst das Nichts soll unterhaltsam sein. Ich frage mich ernsthaft, ob es Ihnen nicht vor Ihnen selbst graut. Doch bei Propheten des aktiven, als Wissen verschleierten Nihilismus ist das wohl eine hinfällige Frage.

Sophist war übrigens bei den alten Griechen das Wort für reisende Händler der Gutfühlweisheiten. Von Polis zu Polis, von Marktplatz zu Markplatz zogen die Sophisten und boten Ihre Tätigkeit feil. Sie behaupteten, Sie könnten Tugend gegen Bezahlung ihren Schülern beibringen. Sokrates machte es sich zur Aufgabe, genau diese Schwätzer als das zu entlarven, was sie waren: Gefährliche Quacksalber, die Halbweisheiten für bare Münze feilbieten und ihren Schäfchen das falsche Gefühl echten Wissens vermittelten. Du willst ein guter, tugendvoller Mensch sein? Komm nur zu mir, zahle und ich mache aus Eisen Gold. Precht tut nichts anderes. Er lebt gut von den Sorgen, Ängsten und Fragen der Menschen.

Doch geschwungen wird nun von den Anhängern die Axt eines überheblichen und golemhaften Wissens, das keines ist, und es richtet sich mit Spott an alle Philosophen, die doch nur ihre Zeit verschwenden würden. Philosophen können das Gelächter grundsätzlich gut und gerne ertragen. In diesem Fall aber nicht dessen Ursprung. Willkommen im 21. Jahrhunderts. Der echte Anbeginn der “Dark Ages”.  Ja, es geht wieder mal hinab ins Tal—also beginnt unser Untergang.

Herr Precht, Sie tun der Philosophie wirklich keinen Gefallen, indem Sie Bücher schreiben und gemessen an Kants kategorischem Imperativ, hoffe ich, dass auch Sie das Vermitteln von ruinenhafter Sophisterei nicht als allgemeines Gesetz anerkennen können. Doch bekanntlich fischt es sich in seichten Gewässern gut, und das steht Ihnen auch ganz prächtig (prechtig?). Unserer Kultur von Dichtern und Denkern droht ein Abschied ohne Ovationen und Sie sind ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, sie dem Henker vorzustellen. Es ist eine zu bedauernde Peripetie, dass Ihre Bücher mehr Anklang finden als die eines Kant, Schopenhauer, oder Hegel.

Überlegen wir uns doch also auch einmal, welch große Denker wir in Deutschland hatten: Goethe, Schiller, Lessing, Leibniz, Kant!, Fichte, Hegel, Schopenhauer, Nietzsche, Marx, Heidegger, Jaspers, Brecht. Und heute eben Precht mit P, aber ohne jeden Gehalt und Jauch zum endgültigen Weichspülen der postdemokratischen Bananenpolitik. Wieso Deutschland keine Public Intellectuals hat wie John Gray und Simon Critchley in England, beziehungsweise den USA ist mir schleierhaft.

Nun gut. Zum Schluss möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass ich gerne mehr Verständnis für Ihr Anliegen hätte, die Menschen in ein schwer begehbares, doch so wichtiges Feld einzuführen. Jedoch ist Ihre Ausführung dieser edlen Aufgabe nur ein weiterer Nagel in den Sarg der philosophischen Denkweise, diesem anstrengendsten, unebenen, oft hölzernen und noch öfter unauffindbaren Pfade. Doch die plattgewalzte, vorgeformte Autobahn der gefährlichen Halbbildung ist eben Ihr Mittel zum Erfolg.

 

 

 


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