Rezension: “Die Nachhaltigen” von Gideon Böss

Gideon Böss’ „Die Nachhaltigen“ ist im Oktober beim Eichborn Verlag erschienen. Es handelt sich dabei um eine Gesellschaftssatire, die mit den Klischees des alltagspolitischen Deutschlands aufräumen will. Stellenweise etwas mühselig komponiert, ist der 300-seitige Roman aber gut zu lesen.

Im Grunde ist alleine die Ausgangssituation schon einen heiteren Leseabend wert: Ein schwarzer Schauspieler wird in der Rolle als Hitler abgelehnt – und fühlt sich dadurch ethnisch benachteiligt. Bastian ist der Theaterregisseur, der das Stück „Hitlertage“ inszeniert. Dies tut er, um eine Frau namens Lena, die Mitglied der Partei „die Nachhaltigen“ ist, zu beeindrucken. Natürlich gerät er prompt in den Strudel eines handgemachten Rassimus-Skandals. Im Zuge dessen wird beinahe jedes Klischee des Wutbürger-Deutschlands in diesem Buch genauer beleuchtet – zurecht, wie man beim Lesen befinden muss.

In einer Talkshow zum Beispiel, da muss sich der durch zuvor erwähntes Fauxpas als Rassist entlarvte Bastian vor Nena höchstpersönlich rechtfertigen. Jene Pop-Nena, die aufgrund ihres Berufs gar nichts mit dem Thema zu tun haben kann, („Boah, das ist ja total fies, ey!“) und nur aufgrund ihres Promi-Status eingeladen wurde. Auch werden die sonst durchaus gängigen Talk-Show Methoden beleuchtet, die den Gast traditionsmäßig schon vor Beginn der Sendung verurteilen. Böss hat das Phänomen gut beobachtet und szenenweise hervorragend wiedergegeben.

Schön porträtiert sind nicht nur die Gestalten des hiesigen Zeitgeistes. Besonders die Nebenprotagonisten sind Böss äußerst feinfühlig gelungen. Krell, zum Beispiel, der ein geschädigtes Kind der UdSSR ist, sorgt für einige Bonmots, die den Leser gleichzeitig zum Lachen und zum Nachdenken anregen. Auch die ältere Dame, die die Eva Braun in dem Hitler-Stück spielt, wirkt stimmig und überzeugend. Mehrmals habe ich das Cover anerkennend in Anerkennung erneut begutachten müssen, da eben diese Charaktere mich in ihren Äußerungen zugleich belustigten und beeindruckten. „Ich denke, es gibt mehr als sechs Milliarden Menschen“, sagt der Theaterregisseur Bastian da in einer Szene und Krell, der antwortet stumpf: „Wie viele kennst du denn?“

An manchen Stellen wird der Roman ärgerlich. Böss will sich literarisch betätigen. Er schreibt den Gegenständen passive Charakterzüge zu. Da gibt es dann zum Beispiel Straßenverkehre, die erwachen. Da fallen Sätze wie: „Alle schwiegen, was den aufgeregten Jungs die Gelegenheit hab, die Hauswand zu erklimmen und sich in der Wohnung auszubreiten.” Jemand grinst hier und da verlogen oder definiert sich als Mensch, der nicht mal für Katzenvideos ein Like auf Facebook abbekommt – es sind jene unnötige Ideen, die nicht in das Genre passen, und einen Schatten über das Buch werfen. Böss ist kein Hemingway und das muss ihm bewusst werden.

Aber bis auf jene Sätze, die mich zwischendurch aus dem Lesefluss brachten, weil sie zu viel von sich selbst verlangten, ist das Buch von Gideon Böss ein Lesespaß, der sich für ein Debütwerk recht ordentlich mit den Mechanismen der Gesellschaft auseinandersetzt. Der Autor wirkt dabei niemals so, als würde er mit einer bestimmten Gesellschaftsgruppe abrechnen wollen, sondern versucht diese lediglich satirisch darzulegen und dem Leser aufzuzeigen. Die Erzählerstimme bleibt brav im Hintergrund und beobachtet das Geschehen, während sich die Figuren im Grunde nur selbst entlarven. Das macht dieses Buch bei allem Klaumauk auch zu einem erwachsenen.

Und manchmal, wenn dann wieder so ein Satz von Krell fällt, der die Synapsen im Hirn wohlig stimuliert, dann entlarvt man sich beim Lesen vielleicht sogar ein kleines bisschen selbst.


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