R.I.P – Wenn die Medien es erlauben
Heute morgen ist der Germanwings Airbus A320 auf dem Rückweg von Barcelona nach Düsseldorf abgestürzt. Es gibt keine Überlebenden. Aber die mediale Ausschlachtung fängt gerade erst an.
Ich habe meinen Browser zu Facebook und Twitter geschlossen. Morgen früh fliege ich nach Zürich. Seit ein paar Langstreckenflügen von der Flugangst geheilt, kommt jetzt alles wieder hoch. Ein Flieger ist in Europa abgestürzt, noch dazu mit einer Airline, die wir alle mindestens einmal bestiegen haben. Das ist tragisch. Tragischer ist es, dass die Medien die Opfer nicht in Frieden ruhen lassen.
Ich erinnere mich in diesen Stunden wieder an den Flieger der Malaysia Airlines MH370, als die Angehörigen im Moment ihres Nervenzusammenbruchs vor die Kamera gezerrt und in Totalaufnahme gezeigt wurden. Was so weit von uns entfernt schien, ist jetzt unser Nachbar.
Heute morgen lese ich einen Tweet unter dem WDR Account:
„In der Empfangshalle erfahren die ersten Angehörigen vom Absturz von #4U9525. Menschen liegen sich weinend in den Armen #Duesseldorf.“
Mit Hashtags und Keywords ausgestattet, wird der Absturz, der an Tragik kaum zu überbieten ist, emotionalisiert und an möglichst viel Reichweite gekoppelt.
Die BILD Zeitung hat mittlerweile Fotos von Angehörigen veröffentlicht. Was für uns alle wohl keine Überraschung sein darf, ist dennoch ein Skandal, der im Gefecht der rigorosen Zeilenfindung keine weitere Abmahnung finden wird.
Es ist eine richtige journalistische Tugend, dass über Unglücksfälle berichtet wird. Sachlich, informativ. Wir wollen Bescheid wissen. Das ist Menschenrecht. Auch verstehe ich, dass jede Zeitung, die erste sein will, die mit neuen Fakten auffährt. Eine Zeitung ist ein wirtschaftliches Unternehmen. Aber alles darüber hinaus beweist, dass Angela Merkel recht hatte: Das Internet ist für uns Neuland. Der Umgang mit Tragödien in den sozialen Netzwerken eine Farce. Denn wir wissen nicht, was wir tun.
Gerade muss die Redaktion von Spiegel Online eine Meldung rausgeben, dass gewisse Bilder und Videomitschnitte, die den angeblichen Absturz der Maschine zeigen, ein Fake sind aus dem Jahre 2007. Rasant haben sich diese über das Internet vebreitet, der Mensch ist an Geilheit auf Spekulationen nicht zu überbieten. Er berichtet außerdem, dass sich unter den Opfern auch “Schüler und Babys” befinden. Möge der emotionalisierte Hype-Kreislauf der Tragik also so seinen Fortgang finden.
Der WDR zeigt auf einem Foto der Anzeigetafel des Düsseldorfer Flughafens, – natürlich hat man gleich einen Korrespondenten hingeschickt – dass der Flug tatsächlich noch auf eben jener ausgeschrieben ist. Gehört das wirklich noch zur Informationspflicht der Journallie, oder ist das schon bloßes Generieren von Content?
Die Neue Osnabrücker Zeitung hat mit einem Ortsnahen gesprochen. Er sei auf dem Hinflug nach Barcelona in einer Germanwings Maschine gewesen und sehe gerade sein Leben an sich vorbeiziehen. Auf dem Rückflug war er nicht, aber die Meldung stimmt.
Ein Flugradar zeigt per Link an, wo genau der Flug abgestürzt sein könnte. Die Germanwings Seite bricht ob des Ansturms zusammen. Jeder Twitter User fühlt sich berufen, einen Kommentar zum Ereignis abzugeben. Ein Unglück beginnt erst dort, wo das Internet darüber berichtet.
Die Opfer und Angehörigen haben einen stillen Umgang mit der Tragödie verdient. Jene Zeiten, in denen Meldungen sich langsamer verbreiteten, und eine Zusammenfassung in der Tagesschau die Informationen stellte, sind Vergangenheit.
Emotionalisierte Nachrichten, die im Sekundentakt bei Twitter unter dem Hashtag #Germanwings eintrudeln, machen deutlich, dass jeder von uns an den Spekulationen, Trauerbekundungen und Faktenverdrehungen per Mausklick teilhaben kann.
Die menschliche Tragödie ist uns gefährlich nahe gekommen. Sie macht uns wieder zu Tieren.