Happy-go-lucky oder Die neuen Spitzel
Wir leben in einer happy-go-lucky-Gesellschaft, in der ein journalistisches Organ zur Zuckerberg-Kritik titelt: “Nehmt das, ihr Hater.” Wir steuern auf ein neues Spitzeltum zu und regulieren uns dabei selbst.
Es ist bedenklich, wenn die Mehrheit der Community auf Facebook fordert, „endlich mal mit den Diskussionen aufzuhören.“ Dabei ist uns jegliches Zeitgefühl abhandengekommen: Nicht mal drei Tage ist es her, dass Zuckerberg bekannt gegeben hat, 45 Milliarden Dollar spenden zu wollen. Wir leben in einer aufgeklärten Gesellschaft. Unser Vertrauen in die Mächtigen wurde nicht erst seit dem NSA-Skandal getrübt, in dem der BND eine größere Rolle spielte, als gedacht. Eine Forderung, kritische Auseinandersetzungen im Keim zu ersticken, wäre ein fataler Rückschritt in prä-unionische Zeiten.
Wir sind dabei eine neue Gesellschaft zu formen. Es sollte mehr Debatte geben. Eine wichtige Verantwortung, der unsere Generation sich stellen muss. Das ist nicht immer einfach. Besonders, wenn sich ein Jeder, der sich mit seiner Meinung nach außen wagt, einem Label unterordnen muss, dessen Richtung er nicht mehr voraussehen kann. Das ist das Resultat einer politischen Klasse, die keine klaren Linien vorgibt. Diese Nische wird nun erfolgreich durch Populisten gefüllt.
Akteure müssen angehört werden. Es soll gelacht, geschrien, geduldig und sachlich gesprochen werden. Es darf nicht nur kritisiert werden, es muss. Zu diesen Akteuren gehört auch das Silicon Valley: ein amerikanischer Oligarchenzusammenschluss, der sich Steuergesetze zum Vorteil dreht, die er nicht erfunden hat. Folgerichtig – im Übrigen auch nach Zuckerbergs Weltbild – gehören zu diesen Akteuren und Meinungsträgern auch User. Es wäre sinnfrei diese mundtot zu machen, um im gleichen Atemzug Zuckerberg zu schützen.
Die Mechanismen der Reglementierung in sozialen Netzwerken sind politische Pull-Effekte für Jene, die das Ende der Meinungsfreiheit im Verschwörungswahn propagieren. Weil sie keinen Raum erhalten, sich zu äußern. Weil sie frustriert sind durch Argumente, die nicht über die eigene Simplifizierung hinausgehen. Wir sitzen uns nicht mehr gegenüber, sondern führen auf der Arbeit nebenbei Diskussionen, die unsere Ahnen in jahrhundertealten Schriften nicht zu klären vermochten.
Mit wachsendem Unmut sollten wir beobachten, dass sich Menschen, die sich rassistisch im Internet äußern, auf eine ungewisse Zukunft einstellen müssen. Weil sie Job und Reputation durch Meinung verlieren. Eine fatale Meinung, eine Unsägliche natürlich. Aber eben diese Zukunftsangst wissen nationalgesinnte Parteien für ihre Ideologie zu manipulieren. Und wir sind ihre Spitzel. Wir verlieren die intellektuell Schwächsten der Gesellschaft an Parteien, die Euthanasie zu ihrer Flüchtlingspolitik machen. Wir müssen ein neues PEGIDA verhindern. Heime brennen und wir löschen mit Feuer.
Das Internet vergisst in Europa mittlerweile auf Anfrage. Wir sind es, die nie vergessen. Wir müssen uns wieder gegenseitig zuhören. Wir müssen uns anschreien; prügeln wir uns. Aber in keinem Fall dürfen wir uns mundtot machen. In keinem Fall sollten wir uns mit Argumenten wie „Wenn du es nicht magst, dann schau halt weg!“ begnügen. Das wäre eine Beleidigung der pluralistischen Gesellschaft, deren Werte wir vererbten. Ich möchte nicht eines Tages in den Buchladen marschieren – oder auf meinem Kindle stöbern – und sehen, dass Wilde, Nietzsche und Schopenhauer von One-Hit-DJs, Radiopfarrern und Til Schweiger ersetzt worden sind. Weil wir zu faul waren neben der Arbeit etwas anderes zu sehen, als unsere eigene Unzulänglichkeit.
Basteln wir uns nicht mehr eine Pinnwand auf Facebook zusammen, die das spiegelt, was wir bereits denken. Atmen wir den Geist unserer europäischen Urväter, der Unzufriedenheit gleichermaßen annimmt, wie Freude. Geben wir uns niemals mit Harmonie zufrieden. Winston Churchill hat gesagt: „Criticism may not be agreeable, but it is necessary. It fulfills the same function as pain in the human body. It calls attention to an unhealthy state of things.”
Unsere Gesellschaft ist erkrankt. Sie braucht keine Tabletten. Sie braucht einen wachen Geist, der bereit ist, Geschichte zu schreiben. Stellen wir uns dieser Aufgabe mit einer Kritikfähigkeit, bei der unsere Vorväter erblassen würden. Wir sind nicht happy-go-lucky. Unter uns leben jetzt jene, die bereit sind über das Meer zu gehen. Wir sind die neuen young angry women and men.