Grizu verachtet den Vinyl-Hype
Seit wann machst du Musik und was hat dich dazu gebracht?
Im Kindergarten ging es los mit Gesang und das habe ich von Kirchenchor bis Schulchor auch durch die Pubertät und den Stimmbruch durchgezogen. Übrigens letzte Reihe Bass. In der Grundschule habe ich auch Klavierspielen gelernt. Da musste ich durch, da meine Mom in Augsburg im Madrigalchor und in der Kirche gesungen hat und auch noch Klavierlehrerin war. Mein Plan war aber immer Heavy Metal und Punkrock zu machen. Also habe ich mir zu meiner Konfirmation einen E-Bass gekauft und ab da Unterricht bei einem Jazz-Bassisten genommen und sofort in der Jazzband am Gymnasium in Neusäß und in diversen anderen Schulbands, Heavy Metal Bands, Hardcore Bands und auch Psychobilly/Rockabilly-Bands die vier Saiten gezupft.
Zur selben Zeit Ende der 1980er bin ich über Skateboarding auch vom HipHop Virus in all seinen Formen infiziert worden und habe mich dann schnell auch für Rap, Producing und Deejaying interessiert. Platten sammeln habe ich sowieso schon als Kind mit 7 Jahren angefangen. Dass ich wirklich irgendwann mal DJ wurde, ist aber purer Zufall und war so nie geplant. Auch Rapper oder Beatmaker wollte ich nie werden, ist einfach alles so passiert. Wobei ich meine Rapkarriere vor über 10 Jahren an den Nagel gehängt habe. Zwar habe ich mich noch ein Paar Jahre auf Poetry Slams in Deutschland ausgetobt und auch noch mal ein paar Features auf Platten von Freunden im In- und Ausland gehabt, aber irgendwann war mir das Publikum zu jung für Raptexte mit Inhalt und Geschichten aus dem Leben eines Erwachsenen.
Im Vergleich mit früher: Was fällt dir auf, wie hat sich die Szene, wie haben sich die Leute verändert?
Alles ist kurzlebiger geworden und auch viel einfacher. Ein Instrument, das Produzieren oder Auflegen kannst Du im Prinzip an jedem Ort der Welt über YouTube lernen. Eine Freundin von mir bietet sogar Gesangsunterricht via Skype an. Völlig verrückt. Man braucht heute um loszulegen auch viel weniger Geld. Ein Rechner und etwas Freeware, schon geht’s los im Kinderzimmer. Oder Du bist so verrückt wie die Engländer zur Jahrtausendwende, die ganze Grime- und Dubstep-Alben mit Playstation und GameBoy produziert haben. Ich bin eher ein Gearjunkie und muss immer alles haben. Hatte schon oft Phasen mit gesperrtem Konto, tagelang nix zu Essen, aber für Platten, DJ-Equipment, Ersatzteile, Musikinstrumente und Software aller Art, finde ich immer eine Finanzierungsmöglichkeit. Darum geht mir das Gejammer von Newcomern auch immer so auf den Sack, von wegen sie würden sich ja gerne Plattenspieler kaufen, ein bestimmtes Programm oder Instrument, aber das ist ja alles so teuer. Fuck you, entweder Du liebst, was Du tust und gibst Dein letztes Hemd, Blut und Schweiss dafür, oder Du bist ein absolut nicht authentischer Mitläufer, der nur halbherzig etwas machen will, weil es cool ist oder eine geringe Penisgröße ausgeglichen werden muss. Wie gesagt, wenn Du wirklich Musik machen willst oder DJ sein willst, dann findest Du Mittel und Wege.
Im Prinzip sind die Szene und Leute unverändert. Viele sind nach ein Paar Jahren wieder raus, suchen sich ein neues Hobby oder gründen Familien und leben nur noch für ihren Tagesjob. Aber Authentizität war dann eben auch nie deren Ding und das hat man auch schon gemerkt als sie noch aktiv waren. Die kleinen Streitereien unter Künstlern, die Probleme mit Veranstaltern, wechselnde Trends, … das alles gab’s früher auch schon. Damals haben DJs gestritten ob Platten oder CDs besser sind, dann ging es 2003 mit Digital-Vinyl-Systemen wie Final Scratch und Scratch Live los und beide Fraktionen hatten ein gemeinsames Feindbild. Heute gibt’s Kids, die mit Ableton im Club stehen und nur Play drücken, andere haben Midicontroller und die ganzen “keep it real Vinyl DJs” sind zur Zeit fast alle mit USB-Stick unterwegs. Wie man wirklich mit echten Plattenspielern und den Händen auf Platten arbeitet wissen leider immer weniger DJs. Ein absoluter Irrglaube ist auch, dass Scratchen, Turntableism und Performance Deejaying nur etwas für die HipHop-Szene ist. Das ist absoluter Quatsch und wird vor allem dann lustig wenn man z.B. von DJ Rafik (6-facher DJ Weltmeister) hört, dass er als ”Techno-DJ” über einen gewissen Westbam zum Scratchen gekommen ist. Und wenn man sich mal die DJs über 30 ansieht, dann sind da massenhaft alte Scratch-DJs dabei die aber heutzutage Elektronische Musik, Bassmusik oder sonst was auflegen und trotzdem immer noch scratchen. Warum auch nicht? Bei den Produzenten ist es doch genauso. Alte Technohasen machen plötzlich Reggae, HipHop Typen machen Dubstep, Rocker entdecken Techno für sich. Kollaborationen sind auch völlig normal, aber im Bereich Deejaying kommt mir besonders Deutschland immer wieder wie ein Entwicklungsland vor. Eben alles beim alten, immer schön an Formeln und Regeln halten, ganz im Gegensatz zum Rest der Welt. In Zeiten von 24 Stunden Internet und Social-Media-Wahnsinn schon etwas seltsam. Das einzig wirklich neue ist, dass ich jetzt alles was mir nicht gefällt einfach EDM nennen kann.
Mit welchem Equipment arbeitest du?
Als DJ mit zwei Technics Plattenspielern, einem Rane Sixty-Two Battlemixer, diversen Midicontrollern zusätzlich und statt meine heiligen Vinylscheiben in den Club zu schleppen, bin ich völlig überzeugt von Serato DJ auf meinem Macbook. Mein Rücken dankt mir schon seit 2003 den Umstieg auf Digitale Vinyl Systeme, obwohl ich auch noch normale Platten kaufe. Mit der Hand auf zwei speziellen Schallplatten kannst Du mit einem DVS auflegen wie früher mit normalem Vinyl, anschieben, abbremsen, Geschwindigkeit am Plattenspieler einstellen, scratchen, alles funktioniert genauso. Latenz, schlechten Klang und Probleme gibt es nur wenn der User sich mit seinem Equipment nicht auskennt oder wirklich Mixer oder Plattenspieler kaputt sind. Kompliziertes Hexenwerk und früher auch sehr fehleranfällig, aber die zusätzlichen neuen Möglichkeiten und Features möchte ich auch nicht mehr missen.
In meiner Studioecke oder bei Workshops mit Kindern und Jugendlichen, benutze ich meist als Herzstück eine Native Instruments Maschine. Daneben habe ich natürlich unzählige weitere Programme, noch immer einen E-Bass, ein Studiomikrofon mit Röhrenpreamp, diverse Effektpedale und einen Haufen analoge Synthesizer, Sampler und Drummachines. Im Prinzip würde aber ein Macbook Pro mit Garageband völlig ausreichen, wie unzählige Bedroom Producer täglich auf Soundcloud beweisen.
Wohin könnte sich deine Musik noch bewegen?
Musik bewegt sich eigentlich gar nicht mehr. Auch meine nicht. Alles war schon einmal da, ist dann weg und kommt wieder. Das Handwerkszeug wird nur ab und zu ausgetauscht oder die Instrumente gewechselt. Mal habe ich Bock auf klassischen Sample HipHop, dann bastel ich wieder einen analogen Technotrack, viel Bassmusik und meistens undefinierbarer Kram, der in keine Schublade passt, da ich mich gerne weigere Formeln und Regeln beim Beatmachen einzuhalten. Aber wie gesagt, da wird trotzdem nicht das Rad neu erfunden.
Was hältst du denn von der neuen Begeisterung für Vinyl? Mittlerweile gibt’s das ja wieder in jedem urbanen Yuppie-Laden.
Völlig schwachsinniger Hype und von Medien verdrehte Tatsachen! Insgesamt steigen die Verkaufszahlen, aber man muss halt auch hinsehen, was da auf Vinyl verkauft wird und warum die wenigen Presswerke auf der Welt ausgelastet sind. Überwiegend versuchen die großen Majorlabels ihren kompletten Katalog wieder aufzulegen. Jeder, der mal bei Saturn oder Müller ins Plattenregal schaut wird sofort sehen, dass das meiste wohl Musik ist, die schon Mama und Papa auf Platte hatten. Eben hauptsächlich alte Rock- und Pop-Klassiker. Dazu noch ein Paar klassische Rapalben. Hier und da versteckt auch mal ein aktuelles Album. Aber im Vergleich dazu wird die Musik, die DJs in kleinen Plattenläden kaufen und wirklich im Club auflegen wenn Du tanzt, oft nur noch 200 – 300 Mal in einer Auflage produziert. Wenn ich daran denke, dass ich früher sogar meine DJ-Mixtapes teilweise in einer Auflage von 2000 Stück produziert und verkauft wurden, dann ist das absolut nichts. Mehr lohnt sich aber auch nicht, da die DJs ja zum größten Teil vom Rechner oder USB-Stick spielen. Abgesehen davon hat man ja schon Glück, dass in den Clubs überhaupt noch Plattenspieler stehen. Fast immer defekt und völlig ungepflegt, da will man kein schwarzes Gold drauf legen!
Ist deine Beziehung zu Augsburg eine Hassliebe? Oder nur tiefste Hingabe?
Der Spruch ”Wer es in Augsburg schafft, schafft es überall.” kommt nicht von ungefähr. Soweit ich weiss, hatten wir mal die höchste Musikerdichte gerechnet auf die Einwohnerzahl und Fläche von ganz Deutschland. Sprich, es gibt viel zu viele Künstler. Um sich da zu behaupten muss man sich durchbeissen und wird immer irgendwo anecken und Achterbahn fahren. Bei mir kommt noch dazu, dass ich ein viel zu ehrlicher Mensch bin und Arschlöcher eben auch gerne wissen lasse, dass sie welche sind. Grüppchenbildung und Arschkriecherei waren nie mein Ding. Schon als Kind habe ich mich nicht von anderen beeinflussen lassen und war oft Aussenseiter, weil ich eben auch cool mit Leuten war, mit denen andere aus meinem Umfeld nichts zu tun haben wollten. So kommt es, dass in meinem Umfeld die unterschiedlichsten Menschen und Generationen vertreten sind. In Augsburg ist es aber normalerweise so, dass Gruppe X die Gruppe Y nicht mag und man sich darum aus dem Weg geht. Ich bin aber selbst bei meinen Hatern meistens in der ersten Reihe beim Feiern. Ich trenne den Mensch und seine Kunst sowieso ganz strickt voneinander. Generell ist mir egal was Du machst, wer Du bist, wer Deine Freunde sind. Zeige Respekt und Du bekommst Respekt, wenn ich Dich wie ein Arschloch behandel, dann weil Du mir genau dieses Gefühl vermittelst und mich so behandelst. Ich bin in dem Fall der Wald und es kommt immer so raus wie es reinschallt. Haben wir schon als Kinder gelernt.
Wegen meinem Job bei Vestax, Stanton und Korg habe ich Augsburg mal für zwei Jahre verlassen, aber ich liebe diese Stadt und dieses hausgemachte Drama hier wohl einfach zu sehr. Darum bin ich 2010 auch wieder zurückgekommen. Klar, die Politik knallt eine Lachnummer nach der nächsten raus und die grantige Grundstimmung der Augsburger bewegt viele dazu, zu meine sie müssten weg nach Hamburg oder Berlin. Aber da gibt’s dieselbe Scheisse und davon können viele Augsburger, die da waren, wenn sie ehrlich sind, ein Lied singen. Man kann natürlich auch Glück haben. Aber, hey, hier gibt’s Wasser, Grünflächen, gute Infrastruktur und eigentlich wollte ich auch einfach nur wieder schnell im Allgäu in die Berge fahren können. Ausserdem ist mir die Nähe zu einer Hand voll guter Freunde und meiner Familie wichtig gewesen.
Wirst du jemals zu alt für den Scheiß?
An meinem 25. Geburtstag habe ich den größten deutschen Freestyle Rap Battle gewonnen. Das Ding dauerte zwei Tage und es waren 43 MCs aus ganz Deutschland eingeladen. Danach meinte ich zum ersten Mal, dass ich jetzt diese ganze Musiksache an den Nagel hängen kann. Bis jetzt hat es nur funktioniert, das Rapding aufzuhören.
Beim Produzieren interessiert mich auch mehr, wie etwas gemacht wird, um die Arbeit von anderen beurteilen zu können, statt selber gewisse Formeln und Erfolgsrezepte anzuwenden und etwas zu veröffentlichen. Da macht mir am meisten Spaß bei Workshops, mein Wissen an Kinder und Jugendliche weiterzugeben und den Nachwuchs zu fördern. Noch halten mich die Kids da immer für einen coolen Hund, also kann ich das wohl noch weiterhin machen. Ich freue mich da auch immer drauf, weil die Arbeit mit Kindern einem wirklich gut tut und es richtig schön ist, den Kids eine Freude zu bereiten und sie lächeln zu sehen.
Als DJ habe ich schon vor über fünf Jahren beschlossen nicht mehr zu touren und nur noch selten mal für Freunde auswärts zu spielen oder wenn mir der Event wirklich sehr zusagt. Ich schlafe mittlerweile einfach lieber zu Hause in meinem eigenen Bett als in einem Hotel. Laut Musik hören, die ich mag, diese Musik leicht verändern und in einen neuen Kontext setzen, macht mir aber noch immer zuviel Spaß, um komplett damit aufhören zu können. Vielleicht könnte man sogar sagen, das ist mein Leben. Der Ort, private Hausparty, kleiner Club, eine Bar oder ein großes Festival ist mir dabei egal. Ich mag’s gerne kleiner und nah an den Leuten. Und ich nehme mich als DJ nicht mehr so ernst und wichtig wie früher. Als ich jung und hungrig war, ging es eigentlich nur darum gewisse Techniken zu können und vor anderen DJs im Publikum zu punkten. Heute ist mir die Meinung anderer DJs ziemlich latte, aber es freut mich natürlich, wenn jemand wie DJ Craft von K.I.Z. lieber drei Stunden mit mir zusammen B2B auflegt als eine Egoshow zu fahren oder wenn Jungs wie DJ Eskei83 und DJ Unkut (mehrfacher DJ Weltmeister) einem Props dafür geben, was man macht. Am wichtigsten ist aber das Publikum auf der Tanzfläche, mein Job ist es, Euch zu unterhalten und dabei auch noch selbst Spaß zu haben. Diesen Sommer habe ich ein Paar der besten Sets meines Lebens gespielt, oft auch völlig frei von Genreschubladen und Regeln. Also von mir aus kann diese DJ- Geschichte ruhig noch etwas weiter laufen. 100% Gehör habe ich laut dem letzten Check beim Ohrenarzt auch noch. Verdanke ich wahrscheinlich meinen extra angefertigten Ohrenstöpseln, die mir damals bei der Lehrerausbildung für die Vestax DJ School empfohlen wurden.
Erzähl mal von dem Kaputtesten, was dir bei einer Show oder auf Tour oder backstage passiert ist.
Sorry, aber das unterliegt der Schweigepflicht und absoluter Geheimhaltung. Als Tourmanager für diverse Rapper aus Amerika und auf meinen Europatourneen früher oder auf eigenen Events habe ich durchaus ein Paar abgefahrene Geschichten erlebt. Vor einem Auftritt in Frankreich meine Platten und den Autoschlüssel im Mietwagen einsperren und dann das Auto aufbrechen lassen, damit ich auflegen konnte, war noch die harmloseste Story.
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