Allein unter Alternativen: Salami-Alarm in der Veganer-WG

Im Laufe meiner erfolgreichen Karriere als Punkrock-Drummer einer unbekannten Szene-Band, war es mir vergönnt, die eine oder andere mehr oder weniger spannende Erfahrung im Umfeld einer sogenannten Subkultur zu machen. Betrachtet, liebe LeserInnen, die folgenden Zeilen als Eintrittskarte, als eine Art Backstage-Pass, der euch hinter die heruntergekommenen Fassaden der links-alternativen Jugendclubs führt und euch Zugang zu einer Welt verschafft, die euch als Vertreter des gewöhnlichen Spießbürgertums garantiert verborgen bliebe—und das wäre ein Jammer, glaubt mir!

Irgendwo in Essen—es war der Tag nach einem zweitklassigen Konzert mehrerer drittklassiger Bands, die zusammen mehr Nasen zählten als ich mit verschwommenem Blick in der vor der Bühne wild zappelnden Meute (im Fachjargon spricht man von „Pogo“) zu sehen vermochte. Ein guter Abend. Meine Band und ich frühstückten nachmittags gemeinsam in der WG des Veranstalters zusammen mit seinen Mitbewohnern. „Eine klassische alternative WG“, dachte ich mir, als ich an dem langen, handgefertigten, Massivholztisch Platz nahm—der allerdings einen schwedischen Namen trug. Nachdem ich Che Guevara mit einem vertrauten Nicken begrüßt hatte, begutachtete ich den Rest des liebevoll eingerichteten Gemeinschaftsraumes. Ein ganzes Reformhaussortiment an allen erdenklichen Weizensorten lagerte in einem Regal, feinsäuberlich in durchsichtigen Klick-Boxen verstaut. Hier ein paar Vollkorn-Spaghetti, dort ein paar selbst eingelegte Birnen. Lediglich die Atmosphäre wirkte etwas verklemmt. „Vielleicht hat die gute Laune ja eine Weizenallergie“, scherzte ich in Gedanken. Oder ich hatte wieder etwas Doofes gesagt, das kam nämlich öfter vor. Ich prüfte, ob mich meine Bandkollegen beschämt ansahen. Das taten sie immer, wenn ich szenetypische Tabus missachtete. Mittlerweile gab es einen ganzen Katalog von Tabus jeglicher Sorte, die meisten davon betrafen mein dreckiges Mundwerk. Heute erinnerten mich diverse „No Homophobia“ und „Fight Sexism“-Flyer am stilechten Kork-Reißbrett daran, meinen „Wie findet man bei einer Frau im Dunkeln den Bauchnabel?“-Witz für eine bessere Gelegenheit aufzusparen. Und so sollten es diesmal nicht meine verbalen Entgleisungen sein, die für Furore sorgten. Nichtsdestotrotz war es in gewisser Weise wieder mein Mund, der mich in Schwierigkeiten brachte.SDC11029

Foto: Simon Groß

Während alle am Tisch so friedlich vor sich hin schmatzten, schob ich ein paar der zahlreichen pflanzlichen Brotaufstriche beiseite, um etwas Platz für eines meiner belegten Brötchen zu schaffen. In aller Ruhe kramte ich es aus meiner Tasche hervor, die ich in weiser Voraussicht bereits an meinem Platz positioniert hatte. Voller Vorfreude auf die satt belegte Salami-Stulle, streifte ich hastig das störende Plastik ab, das sich mit aller Kraft meinem Willen zu widersetzen versuchte. Es war nur noch eine kleine Distanz, die mich von meinem geräucherten Glück trennten, als ich bemerkte, dass plötzlich der Kauvorgang meines Gegenübers einen Totalaussatz hatte und er mir mit einem verdammt bösen Gesichtsausdruck ein bisschen Angst einjagte. „Das isst du hier aber bestimmt nicht.“, brummte der sonst so entspannt wirkende Zottelbär in meine Richtung. Für einen ganz kleinen Moment wähnte ich mich im Glauben wieder einmal Opfer einer dieser Witze zu sein, die so trocken vorgetragen sind, dass einem ein peinliches „Echt?“ über die Lippen rutscht. Mein Versuch die Ernsthaftigkeit seines Verbots durch ein vorsichtiges Lächeln auf die Probe zu stellen gelang. Als sich die Gesichtsmuskeln des Alpha-Männchens nach gefühlten 2 Minuten immer noch nicht entspannen wollten, schlussfolgerte ich scharfsinnig: „Er meint es ernst.“ Urplötzlich stieg in mir eine mühsam verdrängte Erinnerung auf. Erneut sah ich vor meinem geistigen Auge wie ich in jenem Scottish-Pub die gesamte volltrunkene Meute dieser gemütlich, verrauchten Whiskey-Höhle brüllend dazu aufforderte ihre Gläser zu erheben—und zwar auf den besten Irish-Pub dieser Welt. Ein Highlight meiner zweiten erfolgreichen Karriere als Trunkenbold. An diesem Nachmittag war es mir also wieder einmal gelungen binnen weniger Sekunden alle sich im Raum befindlichen Menschen gegen mich aufzubringen. Wieder einmal hatte ich zur falschen Zeit am falschen Ort zielgenau das Falsche getan, als ob ich dieses wurstgewordene Selbstmord-Kommando von langer Hand geplant hätte. Anscheinend besaß ich doch noch ein verborgenes Talent, destruktiv, aber äußerst effizient.

So langsam aber sicher begann ich das Ausmaß meiner Tat zu begreifen. Ich hatte den heiligen Gral der streng anti-religiösen Glaubensgemeinschaft mit Füßen getreten, den Tofu-Tempel mit mehreren hauchdünn geschnittenen Scheiben italienischer Salami entweiht. Gleichsam hätte ich ihnen auch ein durchgekautes Hackbällchen in die Kartoffel-Kürbiskern-Kokosmilch-Suppe spucken können. Ich mochte diesen Gedanken. Doch um nicht als Naturdünger für eine der vielen Topfpflanzen zu enden, beschloss ich der Aufforderung nachzugeben und ließ das Schweinefettnäpfchen wieder unauffällig in meiner Tasche verschwinden. Unangenehme Momente folgten, die Gruppe hatte in stiller Absprache beschlossen mich keines Blickes mehr zu würdigen, zumindest keines freundlichen. Die genervten Seufzer meiner Bandkollegen ließen mich ahnen, dass mir wieder einmal eine lustige Heimfahrt bevorstand, bei der man ganz locker, lässig, angenehm vom Problem der Massentierzuchthaltung über die Grenzen der persönlichen Freiheit hin zu einer hitzigen Grundsatzdiskussion über politische Werte abschweifte. In logischer Konsequenz stellte ich mir die Frage, ob fleischfressende Pflanzen ebenfalls auf der Speisekarte der Tierfreunde standen. Was für eine Ironie des Schicksals: Fleischfresser, die von Pflanzenfressern gefressen werden!

Ich verzichtete darauf, die anderen von meinem großartigen Gedankenspiel zu unterrichten und schnappte mir stattdessen ein Gläschen voll toter Pflanzen. Nichts davon ahnend, dass gleich die nächste Bombe hochgehen sollte, teilte ich der Runde besänftigend mit, dass mir die Paste in Kombination mit dem selbstgebackenen Brot äußerst gut schmeckte. Endlich schien ich den richtigen Ton getroffen zu haben und die Atmosphäre entspannte sich ein wenig. Der Häuptling pflichtete meinem Lob bei und fügte hinzu, dass die Paste eine seiner Lieblingsbrotaufstriche sei, sie gehöre schon seit vielen Jahren zu dem kulinarischen Standardrepertoire, das die eingeschworene Truppe stets im Hause hatte. Just in diesem Moment nahm mein Sänger das Glas etwas genauer unter die Lupe und begutachtete die Liste der Zutaten auf der Rückseite.

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Foto: Dominik Schönleben

Der Begriff „Schadenfreude“ wird dem Gefühl der Genugtuung, das mich nur wenige Momente später ereilen sollte, nicht auch nur im Ansatz gerecht. Mindestens müsste dafür ein neues Wort erfunden werden, so etwas wie „Totalschadenfreude“ vielleicht. Es war fantastisch. Mit einem zarten Hauch lässiger Gleichgültigkeit in der Stimme atomisierte mein Sänger das Kartenhaus der Lebensmittelfaschisten mit einem gewaltigen Streich. Wer hätte gedacht, dass ein einfaches „da ist Wein drin, der wahrscheinlich mit tierischem Kasein versetzt wurde“, auf so abrupte Art und Weise das Blatt hatte wenden können—ein vernichtender Schlag für Menschen, die nie die Erfahrung gemacht hatten, Fehler zu begehen. Wie konnte es passieren, dass ein mit möglicherweise geringfügigen Spuren tierischer Lebensmittel belastetes Produkt durch das engmaschige Kontrollnetz der Pflanzenfanatiker schlüpfen konnte —und das über Jahre hinweg! Leise begann in meinem Kopf eine Stimme zu kichern: „Hehehe, willkommen im Club der Tierquäler! Das schlechte Gewissen lässt sich relativ gut in heißem Fritten-Fett ertränken.“ Da aber selbst ich einer Hand voll rudimentärer ethischer Prinzipien anhänge, sah ich davon ab mit derart plumpen Phrasen zusätzlich auf jene einzutreten, die sich gerade erst so unverhofft der Länge nach voll auf die Fresse gelegt hatten. Nein, ich kostete die Situation im Stillen aus. Niemals hätte ich es übers Herz gebracht, die verzweifelten Versuche, den offensichtlichen Lebensmittel-Skandal herunterzuspielen, zu unterbrechen.

So schnell war es also möglich in dieser Welt zum Schuldigen zu werden. Vom Schaf zum Wolf, vom Heiligen zum Luzifer, vom friedfertigen Kleingärtner zum blutrünstigen Schlachter, es war ein verdammt schmaler Grat. Endlich waren wir alle gleich, Sünder unter Sündern, alle hatten wir Dreck am Stecken, geeint in menschlicher Fehlbarkeit, ein tolles Gefühl nicht alleine zu sein. So ist wie ich meine, schlussendlich doch noch ein richtiges Wir-Gefühl am Tisch entstanden. Beflügelt von der unfreiwilligen Übereinkunft teilte mir meine soziale Intelligenz mit, dass es nun an der Zeit war das Kriegsbeil zu begraben und eine fette Friedenspfeife anzustecken. Ganz behutsam zog ich die Botschafterin des Friedens aus meinem Rucksack, schließlich hatte ich sie mit viel Liebe präpariert. Eng umschlungen und zärtlich zugleich hielten meine Finger ihren prallen Körper in der Hand—sie war ein echtes Prachtexemplar. Ihr makelloses Antlitz schimmerte würdevoll im Lichtkegel der halb aufgedrehten Energiesparlampe. Endlich konnte ich mich entspannen, endlich konnte ich wieder ich selbst sein. In sehnsüchtiger Erwartung auf das bevorstehende Vergnügen befeuchtete ich sanft meine Lippen, mein Geist fieberte ungeduldig dem Konsum des Genussmittels entgegen. Mit einem stimmungsvollen „Wohl bekommt‘s!“ verkündete ich den Beginn der Versöhnungszeremonie und verschlang die Salami-Stulle, vor den Augen meiner neuen Freunde, in nur einem Zug.

 


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